Phosphorescent
Phosphorescent, das Alter Ego des amerikanischen Songwriters Matthew Houck, war immer eine Art Seismograf für jene feinen Risse, die sich durch das Leben ziehen. Sein aktuelles Album „Revelator“ beginnt mit einer fast beiläufig hingeworfenen Müdigkeitserklärung: „I got tired of sadness… I got tired of all the madness…“. Eine erschöpfte Bestandsaufnahme, gesprochen mit jener brüchigen Selbstverständlichkeit, die Houcks Werk seit Jahren auszeichnet. Doch dieses Mal wirkt etwas anders. Der Mann, der einst zwischen Alabama, New Orleans und Kalifornien als Straßenmusiker umherzog, der Kritiker*innen zu Vergleichen mit Neil Young, Will Oldham und sogar Kurt Cobain verleitete, scheint einen neuen Punkt erreicht zu haben: jenen Ort, an dem Erschöpfung zur Erkenntnis wird. „Revelator“ ist ein Album, das sich selbst erst spät zu erkennen gibt – und seinem Autor ebenfalls. Seit „C’est La Vie“ (2018) sind fünf weitere Jahre vergangen, in denen Houck sich durch die diffuse Nachgeschichte der Pandemie, familiäre Routinen und die Schatten früherer Erschütterungen bewegte. Die autobiografische Klarheit seines Vorgängers macht nun einer flirrenden, halboffenen Rätselhaftigkeit Platz. Die Melancholie bleibt, doch sie erscheint verschoben, zögerlicher, in Nebel gehüllt. Songs wie „Fences“, „Impossible House“ oder das von einem Traum inspirierte „Wide As Heaven“ kreisen um Nähe und Entfernung, um die Fragilität eines Lebens, das eigentlich gut sein müsste – und dennoch immer wieder dunkle Räume öffnet. Erstaunlich ist, wie organisch Houck all dies in jene ragged classicism- Ästhetik übersetzt, die Phosphorescent seit „Muchacho“ prägt. Man hört einen Musiker, der sich quält und zweifelt und weitersucht. „To Get It Right“, das epische Finale, wirkt wie ein vorsichtiger, aber dennoch trotzig gesetzter Schlussstrich: ein Bekenntnis zum Dranbleiben, zum Ringen um Wahrheit, zur Unmöglichkeit, je wirklich fertig zu sein. Und doch gewinnt man den Eindruck, dass Phosphorescent gerade live am vollständigsten existiert. Auf der Bühne wird aus Houcks introspektiver Schwere eine Art gemeinschaftliches Schweben – jene Mischung aus rauer Direktheit und ätherischer Wärme, die seine Songs seit jeher tragen. Tourneen waren für Houck immer Erprobungsräume: Orte, an denen Lieder atmen lernen und ihre Gestalt verändern, an denen Pathos plötzlich Humor annimmt oder eine beiläufig gespielte Pedal Steel den ganzen Saal vibrieren lässt. Nach Jahren der pandemischen Stille und des Rückzugs wirken seine jüngsten Auftritte wie eine Rückkehr zur alten, ungestümen Lebendigkeit. „Revelator“, im Studio ein suchendes Werk, entfaltet live jene Kraft, die Houck meint, wenn er sagt: „Yeah, we got this.“ Im Mai 2026 kommt Phosphorescent nach Deutschland – eine seltene Gelegenheit, diese neue Phase des Künstlers unmittelbar zu erleben.